Reinhard Fritz 14. April 2016
Reinhard
Fritz
zur Vernissage "Blauer Phoenix. Gemälde"
in der Otto-Galerie, Dr. Sonja v. Baranow, München am 14 April 2016
Lieber Willibrord,
das erste Mal fanden wir
zusammen ohne uns zu begegnen. Im Stuttgarter Marienhospital gestaltete jeder
von uns mit seiner Malerei eine Etage, Du kraftvoll, ich sensibel - wobei das
kein Gegensatz sein muss,
zusammen mit weiteren von der Jury ausgewählten
Künstlern, gestaltete jeder eine Etage mit seinen Bildern auf seine Art.
Später, als ich Dich zum ersten
Mal in Berlin-Charlottenburg in Deiner Werkstatt und im Atelier erleben durfte,
war ich beeindruckt von der Atmosphäre, der Fülle und Intensität der Arbeiten,
den Radierungen, den Aquarellen
und den Bildern. Ich merkte sofort, das war auch
meine Welt, eine abstrakte Malerei, die viel mit Musik zu tun hat
und so gar
nichts abbildet, sondern sichtbar macht, die Bilder für den geistigen Gebrauch
erschafft.
Nach dem Tod Deiner Frau
Helga, vor zwei Jahren hast Du fast alle Bilder weggegeben und daran
gezweifelt,
je wieder malen zu können, und dann hast Du Dich am eigenen Schopf
aus dem Sumpf der Trübsal gezogen.
Deine Malerei hat Dir, sagst Du, dabei sehr
geholfen. Anlass war das Projekt „Eighty Birds“ in Mochental und
diese
Ausstellung „Blauer Phoenix" hier in der Otto-Galerie zu Deinem 80sten. Die
Vorstellung eines Phönix
steht für etwas, das schon verloren geglaubt war, aber
in neuem Glanz wieder erscheint. Hier ersteht
der Phönix statt aus dem Grau der
Asche vor einem leuchtenden Blau.
Bei meinem Besuch bei Dir in Berlin
warst Du mitten in der Arbeit an diesen umfangreichen Projekten, im
Atelier
standen überall schon fertige, fast fertige und angefangene Bilder herum. Und Du
sprachst von
der Hoffnung, dass dieser Rausch des Malens, der Farben- und Formen
noch bis zu Deinem 80sten
anhalten möge und auch danach nicht nachlassen würde.
Das ist deutlich sichtbar gelungen.
Ich sehe die Bilder hier in der
Ausstellung und stelle mir vor, Orgelmusik zu hören. Gewaltige, kräftige
und
sonore Töne, dominante Akkorde, Überlagerungen, Durchdringungen bis zu den hohen
Tönen.
Dabei fällt mir gleich Dein Intonationsgeheimnis auf, wie gelingt Dir die
Balance zwischen Klangkraft
der Farben und deren Verschmelzungsfähigkeit bei
gleichzeitiger Bewahrung ihrer Eigenständigkeit?
In diesem Balancierenkönnen
zeigt sich für mich eine der Eigenarten und Qualitäten Deiner Bilder.
Dann fällt mir auf, alle Bilder sehen aus, wie wenn sie am Bildrand nicht
aufhören würden, sondern
Ausschnitt wären, Ausschnitt aus einem größeren Ganzen,
einem Kosmos. Einem Kosmos aber, zu dem
ein Maßstab nicht gegeben ist. Der
Betrachter entscheidet sich intuitiv für die Größenverhältnisse.
In der
Uneindeutigkeit, der Ambivalenz des Maßstabes liegt eine Spannung, die das Bild
vermittelt,
die es aushält, trägt und spannend macht. Die Ambivalenz stellt sich
mir so dar, einerseits kann das
Bildmotiv ein Mikrokosmos sein, in dem sich
winzige Einzeller in den Säften von Pflanzenstängeln,
nein, noch kleiner, in den
Kapillaren der Stängel langsam vorwärts bewegen, vielleicht auf der Suche
nach
Ihresgleichen und einem gesteigertem Lebensgefühl, oder handelt es sich
andererseits beim
Bildmotiv um ein sich immerfort ausdehnendes, grenzenloses
Weltall, von dem gerade nur jeweils
ein Ausschnitt zusehen ist, rot glühende
Protuberanzen ausgestoßen von Planeten, die aus flüssigem
Magma bestehen und von
heißen Gasen umgeben sind.
Solche und ähnliche Phantasien gehen mir beim
Betrachten der Bilder durch den
Kopf, und ich muss
sagen, ich gebe mich diesen Phantasien gerne hin. Es ist
dieses sich selbst wiederfinden im Bild, der
Moment als Betrachter und Zuschauer
wie in einen Spiegel der Seele zu blicken. Andererseits fühle
ich mich auch
berauscht durch die Farben. Die Blautöne vom warmen, körperhaften Ultramarin zum
leuchtendem Preußischblau zu den Ansätzen von Türkis, stets in makellosen
Farbschlieren wie
gegossen und geschüttet, die in der Überlagerung mit kräftigen
Gelbtönen sich ins Grün wandeln,
um dann zu sehen wie sich aus der Tiefe
unerbittlich Rot und Orange hervor drängen. Das ist
Farbdynamik, die körperlich
erlebbar ist. Die Farben springen mich geradezu an, lassen mich nicht
los,
ummanteln mich und vermitteln mir zahlreiche Gefühlszustände.
Obwohl ich
sie sofort sehe, wird mir die Formenwelt erst später bewusst. Es gibt
Kreisformen mit
breiten oder schmalen Randzonen, die sich gerne zueinander
gesellen, sich berühren und sich
manchmal übereinander schieben. Einige sehen
wie Gewässer der Urzeit aus, andere wie prall
gefüllte Blutgefäße mit Adern oder
Schläuchen miteinander verbunden. Dann gibt es die Bogenformen,
weite Kurven,
bei denen man mit Fliehkräften kämpfen muss, die einen aus dem Bild heraustragen
können.
Dann die Welt der dicken, grünen Stängel, die nach oben streben, endlich
mal eine grade Linie, eine grüne,
Halt gebende Struktur, ein Bildgitter, das
Durchblicke schaffen kann.
Nach diesem Bild-Erlebnis wird einem klar,
das alles ist kein Zufall, hier hat jemand mit Raffinesse und
Kalkül sich den
Unwägbarkeiten der flüssigen Farbe hingegeben und Ergebnisse erzielt, die
Staunen lassen.
Der Künstler Willibrord Haas kennt die Wirkungen der
Farben. Meist verwendet er Farbton-Kontraste,
die entstehen sobald mindestens
zwei Farben in reiner, ungebrochener Form zusammenkommen.
Der Farbton-Kontrast
wirkt bunt, laut, kraftvoll und entschieden. Je größer die Zahl der eingesetzten
Farben ist, umso mehr Variationen sind möglich. Am stärksten ist der
Farbton-Kontrast, wenn die reinen
bunten Farben Gelb, Rot (Magenta), Blau (Cyan)
im Dreiklang verwendet werden.
Auch wird ganz gezielt der
Kalt-Warm-Kontrast, der seine Wirkung aus dem Empfinden bezieht, dass
Farben
warm oder kalt wirken, eingesetzt und damit die Form, der Aufbau und Ausdruck
des Bildes
bestimmt. Das alles natürlich mit intuitivem Empfinden und großer
Experimentierfreude, wie ich im
Atelier sehen konnte.
Im Malen sieht
Willibrord Haas die Krönung seiner künstlerischen Arbeit, seines wie er sagt
„Kunst-Mach-Vergnügens“. Die Malerei erlaube ihm raumgreifende Aktionen, große
Farbräume,
gleitende Empfindungen wie beim Schwimmen im Wasser oder bei der
Ballonfahrt, dem langsamen
und geräuschlosen Schweben in der Luft.
Bei
den Radierungen ist es etwas anders, und doch hat die Arbeit mit der
künstlerischen Drucktechnik
sicherlich das Malen beeinflusst. Bei der Radierung
sind die technisch-handwerklichen Voraussetzungen
zur „Bilderzeugung“ für den
Unkundigen nicht einfach zu verstehen, deshalb werden immer wieder
Druckvorführungen mit der Radierpresse angeboten. Das Motiv, das auf der
Druckplatte erarbeitet wird,
erscheint auf dem Papier seitenverkehrt, das muss
vorher bedacht werden, und für jede Farbe wird eine
eigene Druckplatte benötigt,
auf die passgenau das Büttenpapier gelegt werden muss, um eine Kontrolle
über
das entstehende Bildmotiv zu behalten, ein großer Aufwand, der allerdings
ermöglicht, das Motiv in
einer handgearbeiteten Auflage zu produzieren.
Willibrord Haas, der seit über 30 Jahren seine
Radierwerkstatt betreibt, spricht
von der Freude am Umgang mit den Materialien, den Druckplatten aus
Kupfer und
anderen Metallen, den Büttenpapieren, die den Druck aufnehmen, dem Asphaltlack
und
Asphaltstaub, einem Naturprodukt vulkanischen Ursprungs, den Säuren, den
Ölen, den Druckfarben,
die mit etwas Öl geschmeidig gemacht und mit einem
Spachtel auf einer flachen Platte miteinander
gemischt werden, das Auftragen mit
der Walze und das Auswischen der Druckplatte, und zum Schluss
die Krönung durch
seine wunderbare alte Kupferdruckpresse.
Ich verstehe die Malerei von
Willibrord Haas durch seine Erfahrung an der Radierpresse in der Weise,
dass er
das Malen wie das Drucken in einer Abfolge von Farbdurchgängen sieht. Bei seinem
Malprozess
wird die flüssige Farbe aufgetragen und nach dem Trockenvorgang Zug
um Zug durch weitere Farben
überlagert. Durch die Wartezeit des
Trocknungsvorgangs bietet es sich an, inzwischen an weiteren Bildern
zu
arbeiten. Bei dieser Arbeitsweise sich eine spontane Lockerheit neben der
Disziplin und Konzentration
zu erhalten, ist Aufgabe und Anforderung, zumal sich
der Entstehungsprozess der Bilder über Tage und
Wochen hinzieht.
Beim
Aquarell ist es ähnlich, der Trockenprozess erzwingt die gleichzeitige Arbeit an
mehreren Blättern.
Ich habe den Versuch unternommen und in meinem
Aquarell-Workshop meinen Studierenden einmal Fotos
von den wunderschönen
Aquarellen von Willibrord Haas vorgelegt, zu denen er sich einmal so geäußert
hat:
"... das kleine Blättchen liegt vor mir, ich habe die völlige Freiheit, ich
kann Alles daraus machen, ein kleines
Königreich, und oft gelingt der spontane
Zauber aus Tröpfchen, Linien, Flächen und ich habe ein kleines
Glück
erschaffen." Die Faszination dieser kleinen Blätter hat jeden sofort ergriffen,
aber, wie ich es schon
geahnt habe, konnte, trotz meiner erklärenden Hinweise,
kaum einer der Studierenden diese Balance von
Zufall und Kalkül malerisch
nachvollziehen. Es ist ein bisschen wie mit der Anleitung zu Glücklichsein, der
Weg dahin bleibt trotzdem schwierig.
Wenn man heutzutage als Künstler
seine Weltsicht ins Bild setzen möchte, bleibt einem im Grunde nur die
Möglichkeit, die eigene individuelle Komplexität, das tiefe Innere
herauszuarbeiten und mit Bildern dabei
so allgemeine Formen und Formulierungen
zu finden, dass es dem Betrachter möglich ist, sich selbst ihnen
wiederzufinden.
Das, lieber Willibrord, gelingt Dir ganz offensichtlich mit Deinen Bildern immer
wieder.
Für Dich besteht auch zwischen Malerei und Musik eine feste
Beziehung, beide Musen leben in Dir. Du hörst
Musik beim Malen und schaffst Dir
damit eine meditative Atmosphäre, in der Du dann die Linien tanzen und
die
Farben jauchzen und klingen lässt. So entstehen Deine orphischen Plädoyers auf
die Fantasie und die
Sinnlichkeit, und auf diese Weise stillst Du Dein
intensives Bedürfnis nach innerer Balance, von der ich anfangs
bei den
Orgeltönen sprach. Bei der Beschreibung Deiner Bilder werden Begriffe wie
Harmonie, Melodie, Komposition,
Rhythmus, Klangfarbe oder sphärische Klänge
benutzt, die auch in der Musik vorkommen.
Gerne hätte ich noch etwas
über Dein ganz von Kunst durchtränktes Leben Leben gesagt, über die Hochs und
Tiefs
der jetzt 80 Jahre, von denen Du 60 Jahre dem Malen und 45 Jahre dem
Radieren gewidmet hast. Doch ich bleibe
bei einer fast schmerzhaft kurzen Form:
im Schwarzwald in eine musische Familie geboren, im barocken Allgäu
aufgewachsen, an der Kunstakademie in München studiert, nach Berlin gezogen und
geblieben, Familie gegründet
und sich durch ein Künstlerleben gekämpft.
Und so möchte ich mit einem Satz von Dir schließen, der zugleich Fazit und
Ausblick ist. "Die Energie soll fließen
und ihren Niederschlag finden", sagst Du
und meinst damit Deine Energie, und weiter "das Ergebnis soll apollinisch
sein,
also vorwiegend heiter!" und damit sind Sie gemeint, die Betrachter der Bilder,
die in eine heitere Stimmung
voller Klarheit und Schönheit versetzt werden
solle.
Reinhard Fritz zur Vernissage in der Otto-Galerie, Dr. Sonja v.
Baranow, München am 14 April 2016